Große Fische – Keine Netze

Die sinkende Körperschaftssteuer und Steuervermeidung multinationaler Konzerne in der EU

Wie kommt es, dass gerade multinationale Konzerne wie Alphabet (Google Muttergesellschaft), Apple, Facebook und Co. trotz Erwirtschaftung höchster Unternehmensgewinne in der EU prozentual am wenigsten Körperschaftssteuer (KöSt) zahlen?

Von Körperschaften (z.B. GmbH und AG) erwirtschaftete Gewinne sind zu versteuern (KöSt). Da das für MNEs (multinationale Konzerne) natürlich unangenehm ist, finden sie regelmäßig Schlupflöcher, um sich vor einem angemessenen Beitrag zu einem funktionierenden Sozialstaat zu drücken und stattdessen ihre Profite zu maximieren. Die Möglichkeiten der Steuervermeidung durch MNEs sind höchst problematisch. Parallel dazu findet ein sogenanntes race to the bottom statt, bei dem sich die Staaten gegenseitig mit immer niedrigeren Körperschaftssteuern unterbieten.

Um nationale Körperschaftssteuern wirksam durchsetzen und langfristig sichern zu können, bräuchte es vor allem Kooperation auf europäischer Ebene. Einzelstaatlich arbeiten die europäischen Staaten in steuerlicher Hinsicht eher gegeneinander, um für Unternehmen als Standort attraktiv zu bleiben.

Race to the bottom

Im Zuge der in Österreich geplanten Steuerreform 2019 sollte die KöSt bis 2023 von 25% auf 21% gesenkt werden1Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, „Entlastung Österreich“: Alle Österreicherinnen und Österreicher profitieren, https://www.oesterreich.gv.at/nachrichten/steuern_und_finanzen/Entlastung-Oesterreich-Alle-Oesterreicherinnen-und-Oesterreicher-profitieren.html (Stand 30.04.2019)., was einen geschätzten Steuerentgang von zwei Milliarden Euro bedeuten würde. Auch wenn die Umsetzung der Reform aktuell nicht feststeht, lohnt eine Beschäftigung mit dem Thema. Die schwarz-blaue Regierung von 2017 bis 2019 knüpfte mit ihrem Vorhaben nämlich nicht nur an die Politik der letzten schwarz-blauen Regierung von 2000 bis 2005 an, welche die KöSt von 34%  auf 25 % gesenkt hatte, sondern folgte auch einem weltweiten race to the bottom: Dabei versuchen Staaten, ihre Gewinnbesteuerung gering zu halten, um so ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und multinationalen Konzernen einen attraktiven Standort anzubieten.2Wie der Begriff „wirtschaftlicher Standort“ in unserem Sprachgebrauch geframet wird, ist ausführlich im Beitrag Wessen Standpunkt, dessen Standort nachzulesen. In den letzten 40 Jahren ist die KöSt weltweit durchschnittlich um mehr als die Hälfte gesunken: von 49% auf 24%.3Schimmeck, Warum multinationale Konzerne wenig Steuern zahlen, https://www.deutschlandfunk.de/europa-und-die-steuerflucht-warum-multinationale-konzerne.724.de.html?dram:article_id=429393 (Stand 30.09.2018). Diese entgangenen Steuereinnahmen fehlen in Folge für die grundlegenden Strukturen eines sozialen Staates, wie zum Beispiel Gesundheits- und Pflegeausgaben.

Die Wirtschaftskammer Österreich und die Industriellenvereinigung rechtfertigen eine Senkung der KöSt gerne mit zu erwartenden Investitionen, die die entlasteten Unternehmen tätigen würden. Für diese Annahme gibt es jedoch keinen empirischen Beleg.4Bernhofer, Körperschaftssteuer: Was kostet der Steuerwettbewerb, https://awblog.at/kosten-steuerwettbewerb/ (Stand 7.11.2018). Stephan Schulmeister, Lektor am Institut für Finanzrecht der Universität Wien, geht sogar von einer gegenteiligen Entwicklung aus: „Tatsächlich haben die größeren Unternehmen schon seit den 1970er-Jahren ihre Realinvestitionen zugunsten von ‚financial investments‘ gesenkt […]. Dieses Investitionsverhalten ist ein Hauptgrund für schwaches Wachstum, geringe ‚job creation‘ und [daher] hohe Arbeitslosigkeit.“5Schulmeister, Gastkommentar von Stephan Schulmeister: Neue Gerechtigkeit. Für uns alle? https://www.profil.at/meinung/gastkommentar-stephan-schulmeister-neue-gerechtigkeit-8313833 (Stand 16.09.2017).

Strategien der Steuervermeidung

Ein weiterer Faktor, der die staatlichen Steuereinnahmen senkt, ist Steuervermeidung. Vor allem MNEs versuchen so wenig Steuern wie möglich an den Fiskus zu bezahlen und haben dafür einen erweiterten Handlungsspielraum im Vergleich zu rein nationalen Unternehmen. MNEs sind in Ländern tätig, die meist verschieden hohe Steuersätze bzw. Bemessungsgrundlagen haben (Regelungen, für welche Gewinne KöSt gezahlt werden muss und welche Bilanzposten – etwa Rückstellungen und Abschreibungen – hierbei in Abzug gebracht werden können) und versuchen, ihre Gewinne in Staaten mit niedriger Gewinnbesteuerung zu verschieben. Damit entgehen der EU jährlich EUR 70 Milliarden6Schimmeck, Warum multinationale Konzerne wenig Steuern zahlen https://www.deutschlandfunk.de/europa-und-die-steuerflucht-warum-multinationale-konzerne.724.de.html?dram:article_id=429393 (Stand 30.09.2018). an Steuergeldern und allein in Österreich sollen rund EUR 900 Millionen7Red., EU leidet am meisten unter Steuervermeidung, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wirtschaft/international/970900_EU-leidet-am-meisten-unter-Steuervermeidung.html (Stand 13.06.2018). am Staat vorbeigehen.

Häufig werden Steuerabgaben durch komplizierte Unternehmensgeflechte vermieden. So hat eine Gesellschaft eine Tochtergesellschaft in einem Staat, wo der Steuersatz niedriger ist und kann dann durch verschiedene Methoden Gewinne dorthin verlagern. Steuervermeidungsmethoden können laut dem österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung in drei verschiedene Kategorien eingeteilt werden: Gewinnverlagerung durch Verrechnungspreise, Steuervermeidung durch Zinsabzüge oder Steuervermeidung durch Lizenzgebühren. All diese sind legal.8Loretz/Schratzenstaller, Die Auswirkungen der gemeinsamen konsolidierten Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage auf Österreich (2018) 56 ff.

Das Grundkonzept aller drei Kategorien ist, dass Mutter- und Tochtergesellschaften, die in unterschiedlichen europäischen Ländern tätig sind, Leistungen und Produkte so verrechnen, dass hohe Kosten in Staaten mit vergleichbar hohen Steuersätzen anfallen. So bleibt der Gewinn in diesen Staaten gering, genauso wie die Gewinnbesteuerung. Geringe Kosten und hohe Gewinne sollen hingegen in Niedrigsteuerländern entstehen.

Besonders einfach ist etwa die Steuervermeidung durch Lizenzgebühren. Dabei werden Markenrechte, Patente und Lizenzen in Staaten mit niedrigen Körperschaftssteuern verlagert, um sie dann von dort aus an Tochtergesellschaften zu verkaufen. Durch die dafür bezahlten Lizenzgebühren rechnen sich die Konzerne dort, wo sie ihre Geschäfte machen, arm und nehmen die Gewinne in Niedrigsteuerländern ein – so macht es beispielsweise Starbucks. Die Kaffeehauskette hat in Österreich einen Gewinn von rund elf Millionen Euro pro Jahr erwirtschaftet, aber nur Steuern in Höhe von 1.311 Euro bezahlt. Starbucks verwendet das oben beschriebene Modell der Steuervermeidung durch Lizenzgebühren und zahlt seine Steuern vor allem in den Niederlanden.9Glösel, Wohin verschwinden die Millionen von Starbucks? https://kontrast.at/wohin-verschwinden-die-millionen-von-starbucks/ (Stand 07.09.2016); Weiss, Österreich – Steueroase für Konzerne, https://www.zeit.de/2018/07/steuerflucht-steueroase-oesterreich-konzerne-finanzamt/komplettansicht (Stand 12.02.2018); Loretz/Schratzenstaller, Gemeinsame konsolidierte Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage 58.Dadurch verschafft Starbucks sich (genauso wie andere MNEs) einen enormen Wettbewerbsvorteil gegenüber national tätigen Unternehmen. Diese zahlten im EU-Durchschnitt im Zeitraum 1988 bis 2004 32% mehr an Steuern als ausländische Tochtergesellschaften.10Ebd 5.

Die Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage

Ein Vorschlag, um der Steuervermeidungsproblematik entgegenzuwirken, wurde 2016 von der Europäischen Kommission eingebracht: Die Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB). Ziel dieser Verordnung soll unter anderem sein, dass die Gewinnverlagerung von MNEs in Niedrigsteuerländer eingedämmt wird. Die Kommission sieht zur Einführung der GKKB ein zweiphasiges Modell vor. Im ersten Schritt soll eine EU-weit einheitliche Bemessungsgrundlage zur Ermittlung des steuerpflichtigen Konzerngewinns geschaffen werden und im zweiten Schritt eine Verordnung erlassen werden, welche die Gewinne der MNEs anhand eines Verteilungsschlüssels auf die Mitgliedstaaten aufteilt.

Dieser Verteilungsschlüssel bewertet die Faktoren Umsatz, Arbeitskraft und materielle Vermögenswerte (also nicht etwa Lizenzen, Marken und Patente) untereinander gleich hoch und soll sicherstellen, dass Gewinne in jenen Mitgliedstaaten versteuert werden, die auch einen wesentlichen Anteil an der Wertschöpfungskette ausmachen. Wurde die Steuerbemessungsgrundlage ermittelt, werden die entsprechenden Gewinne auf die Mitgliedstaaten verteilt, in denen ein Unternehmen Tochtergesellschaften hält. Jeder Mitgliedstaat kann dann seinen Anteil an den Gewinnen zum eigenen nationalen Körperschaftsteuersatz besteuern. 

Die GKKB-Regelung wäre nur für Unternehmen mit einem Konzernumsatz von mehr als 750 Millionen Euro verpflichtend. Allerdings vereinen diese Unternehmen 64,2% der Umsätze auf sich. In Österreich wären insgesamt 138 Unternehmensgruppen betroffen.

Auswirkungen der GKKB

Die GKKB soll also nur für die größten in der EU tätigen Konzerne gelten. Damit würde die Steuervermeidung derjenigen Unternehmen verhindert werden, die auch die größten Steuerplanungskapazitäten haben. Außerdem könnte mit der GKKB der Inkonsistenz der verschiedenen Steuersysteme, die zur Steuervermeidung ausgenutzt werden, vorgebeugt werden.

In Österreich könnten sich aufgrund aktueller Berechnungen leichte Einbußen bei den Steuereinnahmen ergeben, da Österreich aufgrund von unternehmerfreundlichen Steuern innerhalb der EU eher zu den Profiteuren von Gewinnverlagerungen zählt.11Ebd.

Diese marginalen Vorteile überwiegen aus Sicht der Autor*innen aber nicht gegenüber den Schäden, die unsolidarische Steuerpraktiken und das race to the bottom mit sich bringen. Die GKKB könnte auch Auswirkungen auf das race to the bottom haben. Da die Unternehmensgewinne nicht mehr beliebig verschoben werden könnten, sondern am Ort der Wertschöpfung versteuert werden müssten, müssten Unternehmen nun auch die Produktionsfaktoren verschieben, wenn sie dem Ruf der günstigen Steuern folgen wollen. Dies würde den Steuerwettbewerb wohl weniger attraktiv machen.

Fazit

Insgesamt zeigt sich, dass das derzeitige System, ganz abgesehen von den vielen hier gar nicht erwähnten Möglichkeiten zur Steuerhinterziehung, einige legale Schlupflöcher zur Steuervermeidung bietet. Um zu einer europäischen Lösung zu kommen, müssten die Finanzminister*innen im Europäischen Rat den Vorschlag der Kommission einstimmig annehmen, da die Steuergesetzgebung nicht im Kompetenzbereich der EU liegt. Dies halten die Autor*innen für unwahrscheinlich, da einzelne Mitgliedsstaaten enorm von den aktuellen Möglichkeiten der Gewinnverschiebungen profitieren (z.B. Irland).

Die Autor*innen sehen in dieser Frage einen massiven Kritikpunkt an den mangelnden Gesetzgebungskompetenzen der EU. Nach der aktuellen Lage ergibt sich daraus u.E. die Konsequenz einer effektiven Lähmung in den skizzierten Steuerfragen. Fraglich ist, wie sinnvoll eine Wirtschaftsunion sein kann, die geringe Möglichkeiten zur Schaffung eines funktionierenden europäischen Steuersystems vorsieht.

Fakt ist, dass die Steuervermeidungsproblematik auf nationaler Ebene ein unlösbares Problem darstellt und hierfür mindestens auf europäischer Ebene und bestenfalls international Kooperation herrschen sollte. Es sei dahingestellt, dass in der europäischen Wirtschaftsunion (nicht Sozialunion) Interessen von lobbyierenden Großkonzernen absichtlich in den Vordergrund gestellt werden und Initiativen wie die GKKB daher nicht stärker forciert werden. Jedenfalls scheint es im Ergebnis absurd, dass Staaten wie Irland die aktuelle Lage voll ausnutzen können und eine Verbesserung der Steuergerechtigkeit für die restlichen Mitgliedsstaaten potenziell eigenmächtig verhindern können. Wenn schon nichts anderes, zeigt dieses Beispiel jedenfalls auf, wie undemokratisch EU-Gesetzgebung funktioniert.

Um ein wirklich gerechtes Steuersystem in der EU zu schaffen, müsste es in Zukunft Maßnahmen geben, die noch über die GKKB hinausgehen. Zu denken wäre etwa an einen Mindeststeuersatz für Unternehmensgewinne. All dies kann jedoch nur durch internationale Solidarität, insbesondere unter den EU-Staaten, erreicht werden. Eine Wirtschaftsunion, in der steuerliche Belange als nationale Eigenverantwortung abgetan werden, gefährdet die Errungenschaften eines Sozialstaates empfindlich und treibt die soziale Kluft innerhalb Europas noch weiter auseinander.

Amelie Herzog, Maximilian Humer, Julia Plischke


Quellen   [ + ]

1. Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, „Entlastung Österreich“: Alle Österreicherinnen und Österreicher profitieren, https://www.oesterreich.gv.at/nachrichten/steuern_und_finanzen/Entlastung-Oesterreich-Alle-Oesterreicherinnen-und-Oesterreicher-profitieren.html (Stand 30.04.2019).
2. Wie der Begriff „wirtschaftlicher Standort“ in unserem Sprachgebrauch geframet wird, ist ausführlich im Beitrag Wessen Standpunkt, dessen Standort nachzulesen.
3. Schimmeck, Warum multinationale Konzerne wenig Steuern zahlen, https://www.deutschlandfunk.de/europa-und-die-steuerflucht-warum-multinationale-konzerne.724.de.html?dram:article_id=429393 (Stand 30.09.2018).
4. Bernhofer, Körperschaftssteuer: Was kostet der Steuerwettbewerb, https://awblog.at/kosten-steuerwettbewerb/ (Stand 7.11.2018).
5. Schulmeister, Gastkommentar von Stephan Schulmeister: Neue Gerechtigkeit. Für uns alle? https://www.profil.at/meinung/gastkommentar-stephan-schulmeister-neue-gerechtigkeit-8313833 (Stand 16.09.2017).
6. Schimmeck, Warum multinationale Konzerne wenig Steuern zahlen https://www.deutschlandfunk.de/europa-und-die-steuerflucht-warum-multinationale-konzerne.724.de.html?dram:article_id=429393 (Stand 30.09.2018).
7. Red., EU leidet am meisten unter Steuervermeidung, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wirtschaft/international/970900_EU-leidet-am-meisten-unter-Steuervermeidung.html (Stand 13.06.2018).
8. Loretz/Schratzenstaller, Die Auswirkungen der gemeinsamen konsolidierten Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage auf Österreich (2018) 56 ff.
9. Glösel, Wohin verschwinden die Millionen von Starbucks? https://kontrast.at/wohin-verschwinden-die-millionen-von-starbucks/ (Stand 07.09.2016); Weiss, Österreich – Steueroase für Konzerne, https://www.zeit.de/2018/07/steuerflucht-steueroase-oesterreich-konzerne-finanzamt/komplettansicht (Stand 12.02.2018); Loretz/Schratzenstaller, Gemeinsame konsolidierte Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage 58.
10. Ebd 5.
11. Ebd.

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